Überall steht es zu lesen: Graue Haare sind in. Bloß nicht mehr färben. Frauen sollen endlich selbstbewusst dazu stehen. Inzwischen ist die Parole fast schon zum feministischen Dogma geworden. Müssen wir jetzt alle Grau tragen?

Simone Menne, Finanzchefin von Boehringer Ingelheim, Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds und Claudia Nemat, die Innovationschefin der Deutschen Telekom, tun es. Sie alle tragen Grau: Vom grau melierten Kurzhaarschnitt über hellgraue Strähnen im dunklen Langhaar bis hin zum vollweißen Schopf. Solche Vorbilder unter Top-Managerinnen sind allerdings noch rar. Die Welt berichtet, dass lediglich 32 der US-Fortune-500 Firmen überhaupt von einer Frau geführt werden. Nicht eine von ihnen trägt graue Haare.

Jahrzehntelang mussten Frauen ihre grauen Haare überfärben, wenn sie Karriere machen wollten. Denn für  Männer –  und Chefs sind ja meistens Männer – sind Zeichen von Fruchtbarkeit attraktiv. Je weiblicher eine Frau wirkt, desto attraktiver ist sie . Das hat Lars Penke, Göttinger Professor  für biologische Persönlichkeitspsychologie, herausgefunden. Anziehend wirkt alles, was gesund wirkt, eine saubere, glatte, gleichmäßig gefärbte Haut etwa. Graues Haar bei Frauen ist in dieser Logik nicht attraktiv. Weil qualifizierte Fachkräfte fehlen, können es sich Arbeitgeber allerdings kaum mehr leisten, auf erfahrene Frauen zu verzichten.

Vom grauen Image…

Aber nicht nur Frauen, die im Job weiter aktiv und jung wirken wollen, überfärben die Zeichen des Alters. Das weibliche Geschlecht steht generell unter dem Druck, attraktiv sein zu müssen. Und da passten graue Haare bisher nun mal nicht ins Bild. Denn was bei Männern in Führungspositionen für Kompetenz steht und bei George Clooney sogar als sexy gilt, machte uns Frauen angeblich nur alt. Und „alt“ ist nun mal nicht Zeitgeist. Natürlich ist diese Aussage absurd. Schönheit und Attraktivität wird nicht durch Haarfarbe konstituiert.  Doch es scheint gute Gründe zu geben, dass wir Frauen inbesondere den Prozess des Älterwerdens verbergen wollen. Daran sind angeblich noch nicht mal die Männer schuld. Expertinnen behaupten, es  ginge um weibliche Konventionen. So setzten speziell Frauen  andere Frauen in Sachen Attraktivität weit  mehr unter Druck als Männer.

Rund 66 % der Frauen färben sich mindestens einmal im Quartal und 78 % halbjährlich die Haare. 47 % färben, um graue Haare zu verdecken. (deals.com)

Immerhin spricht einiges dafür, dass sich das Image grauer Haare auf dem Kopf von Frauen jetzt langsam ändert. Zum einen: Schönheit und Jugend als alleiniges Kapital von Frauen – die Zeiten sind ja hoffentlich passé. Wir Frauen wollen, wie Männer auch, als Ganzes gesehen und als solches beurteilt werden. Gleichzeitig wissen wir alle, dass die Färberei nicht gerade gesund ist. Sich ständig aussehensmäßig in einer bestimmten Zeitzone zu präsentieren, kann zudem auch unglaublich anstrengen. Sich nicht mehr verbiegen, nicht mehr auf Wirkung bedacht sein, sondern einfach die gewonnene Energie nutzen, um sich auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren – wär das nicht schön.

…zum coolen Look

Frauenmagazine machen uns Mut, ab sofort auf das Diktat der Farbe verzichten. Silberne Haare gäben ihren Trägerinnen eine Aura von Stil, Souveränität und Eleganz. Und warum auch nicht ehrlich zum Alter stehen? Mit grauen Haaren können wir genauso gut Kraft, Erfahrung und Entschlossenheit anstatt wie bisher nur Negatives verbinden. Betrachter – meint die amerikanische Autorin Anne Kreamer in ihrem Buch „Going Grey“ – ließen sich angeblich ohnehin nur bedingt in die Irre führen.

Birgit Schrowange machte den Schritt zum Naturhaar bewusst öffentlich – und wird dafür als mutig gelobt. Und so kommt es, dass Starfriseure inzwischen immer mehr alternde Showgrößen umstylen. Sogar junge Frauen färben sich die Haare silberweiß. Stars wie Rihanna und Lady Gaga haben es vorgemacht. Topmodels zogen nach. Auch Designer verkünden, dass Grau schön ist. Die Trägerin der weißen Haarfarbe passe farblich hervorragend zum modisch-grauen iPhone, aufs edelgrau-farbene Sofa oder zur Gucci-Tasche im Beerenton. Schade, dass ich weder das eine, noch das andere besitze.

Grau ist alle Theorie

Der ständige Tropfen höhlt den Stein. Auch ich überlege, ob ich meine Haare überhaupt noch färben soll. Denn es stimmt ja: graue Haare müssen ja noch lange nicht bedeuten, dass wir zum alten Eisen gehören. Außerdem gibt es sie ja durchaus: Die älteren, ja fast alterslosen Frauen, die mit ihren silbernen Strähnen im dunklen Haar oder ihrem modischen weißen Kurzhaarschnitt einfach umwerfend aussehen. Ihr Teint passt, der Schnitt stimmt auch. Meist sorgt ein leichtes Make-up zusätzlich für ein natürlich frisches Aussehen.

Nur dummerweise ist der Grat zwischen stilsicherer Silberhaar-Trägerin zum Altersgrau auf Rentnerhäupten klein. Wenn die Haare nicht nur ihre Farbe verlieren, sondern auch dünner werden, der Teint blasser und die Gesichtskonturen schlaff – wird das mit dem Stylen problematischer. Selbst ein flotter Haarschnitt verbannt dann nicht automatisch die Gefahr, in der Grauzone des Älterwerdens zu verschwinden. Seien wir mal ehrlich: Die harte Realität ist doch, dass die meisten Frauen mit weißen Haaren damit nicht mal annähernd so attraktiv aussehen wie beispielsweise Meryl Streep als Vogue-Chefin im Film „Der Teufel trägt Prada“. Ist es daher nicht nachvollziehbar, dass manche Frauen partout nicht ergrauen wollen?

Wie es Euch gefällt

Graue Haare ja oder nein – dies – das wird so langsam klar –, ist eine Frage, die jede Frau ganz persönlich für sich beantworten muss. Wichtiger noch als über graue Haare den Frieden mit seinem Alter zu demonstrieren, erscheint mir der Mut, sich selbst zu sein. So wenig ich färben müssen möchte, so wenig will ich ergrauen müssen. Nicht jede Frau, die Grau trägt, ist eine Öko-Emanze. Und nicht jede Frau, die noch Farbe ins Spiel bringt, verrät damit ihr Alter oder sogar gleich jegliche feministische Grundhaltung. Schließlich hat sich der Mensch  schon immer „verschönert“. Bereits im alten Rom wurden Haare gefärbt, gewellt und aufwendig gesteckt. Und wir sind nun mal Wesen, die, wenn wir in den Spiegel blicken, dort etwas erblicken wollen, das unsere gefühlte Identität repräsentiert. Wenn es also in puncto Äußerlichkeiten einen Imperativ geben sollte, dann diesen: Jede Frau sollte sich optisch so ausdrücken dürfen, wie es ihrem Inneren entspricht.

Morgen gehe ich zu Roberto, meinem italienischen Figaro. Ich werde ihn – wie schön früher – fragen, ob ich nicht doch mal langsam ergrauen sollte. Und wie immer wird er mir ganz erschrocken antworten „Oh Seniora, bitte nicht, Ihre Haarfarbe steht Ihnen so gut. Das mit den grauen Haaren können Sie in ein paar Jahren machen. Aber jetzt doch noch nicht.“ Und ich werde – auch wie immer – zehn Jahre jünger seinen Salon verlassen.

von Hilde
Foto-copright: photocase_1520098 / kevin-grieve-565249-unsplash