Etwa zweieinhalb Jahre geht das jetzt so. Alle drei Monate zur Kontrolluntersuchung bzw. Nachsorge in die Uniklinik. Eindrücke im Warteraum.
Warum müssen Warteräume in einer Klinik eigentlich so deprimierend sein? Keine Fenster, keine Bilder an den Wänden, links ein Regal mit Aufklärungsbroschüren. An der Seite viele, viele Türen, die zu verschiedenen Behandlungsräumen führen. Irgendwer hat mal Pflanzenkübel aufgestellt und darüber Tageslichtlampen montiert. Jetzt stehen in den verwaisten Kästen hässliche Kunstpflanzen. Tote Blumen. Grässlich. Normalerweise sitzen hier so um die dreißig Leute und warten auf ihre Untersuchungen. Meist Frauen. Junge, Alte, Mütter. Viele haben Begleitpersonen oder ihre Kinder dabei. Das geht gerade nicht wegen Corona. Heute sind wir gerade mal sechs.
Mein Termin war eigentlich schon vor einer Stunde. Ich versuche mich mit einem Buch abzulenken. Warum bringe ich überhaupt noch was zum Lesen mit? Ich kann mich sowieso nicht konzentrieren. Dauernd schweifen meine Gedanken ab. Unruhe. Angst. Eigentlich gibt es keinen wirklichen Grund. Ungeachtet der vielen Male, die ich schon hier war, reißt mich das Warten jedes Mal in einen Strudel voll Drama. Ich versuche es mit Atmen: Ich atme tief helles Licht zwischen meinen Augen ein, alles Negative durch meine Poren aus. Es wird minimal besser. Eine der Türen geht auf. Herzpochen. Fehlalarm. Es ist nur jemand vom Reinigungspersonal. Die Ärzte scheinen immer noch auf Station zu sein.
Mir gegenüber sitzt eine modisch angezogene Frau so um die 50 mit langen dunklen Locken. Sie fingert in ihrer Handtasche herum. Ihre Frisur ist seltsam. Ist das eine Perücke? Perückenträgerinnen sind hier ja nicht gerade selten. Aber nö. Sie hat lediglich versucht mit Spangen ihren grauen Haaransatz zu kaschieren. Missglückt. Aber Perücke finde ich trotzdem – bei der blonden Jungen schräg rechts. Sie sitzt schon die ganze Zeit tief gebeugt über ihrem Handy. Was macht sie da nur die ganze Zeit? Jetzt rutscht sie hin und her, jedenfalls seitdem sich in der nicht weit entfernten Toilette eine Patientin laut hörbar erbricht. Sie schaut auf, wir sehen uns zufällig kurz an. Es ist offensichtlich, das Stöhnen geht an die Substanz. So geht es wohl auch der Turban-Frau vorne links. Sie steht auf und geht in den Nachbarraum.
Abgelenkt werde ich von einer Muslima, die fragt, wo sie sich anmelden muss. Sie trägt eine Art Burka, Abaya oder so was in Dunkelgrün, Maske, Sportschuhe. Unter ihrem Umhang sehe ich ein grell buntes Schlabberkleid mit Pailletten hervorblitzen. Sie hat einen riesigen Rucksack und eine Tasche dabei. Ich denke, dass wohl kaum jemand, den ich kenne, ein solches Kleid tragen würde. Ja, die Geschmäcker sind verschieden. Und was schleppt die Frau bloß alles mit sich rum? Kaum fünf Minuten später zieht sie einen Gebetsteppich aus ihrem Rucksack, legt ihn auf den Boden, zieht ihre Schuhe aus, kniet hin und fängt an zu beten. Schon irgendwie seltsam, einer Muslima beim Beten zuzuschauen. Ich denke drüber nach, ob ich das bringen würde. Nee. Eher nicht. Beten ist privat. Am meisten aber beschäftigt mich die Frage, wie die Frau wusste, wo Osten ist. Und ist das wirklich Osten? Beten Muslime immer um 13 Uhr?
Endlich kommt ein Patient aus einer der Türen. Huch, ein Mann? Doch könnte sein. Schließlich bekommen auch Männer Brustkrebs. Für einen Mann halte ich dann zunächst auch den Neuankömmling. Er ist groß, trägt Jogginghose, Sportschuhe und Hoddi. Dazu eine Beanie mit Bommel. In der Hand eine Plastiktüte. Ziemlich prollig, denke ich. Als er sich umdreht, sehe ich, dass „er“ eine Frau so um die 60 ist. Sie kommt mir vor wie eine Oma in der Kleidung ihres Enkels. In der Plastiktüte trägt sie ihren OP-Beutel mit sich herum. Ich schäme mich. Mein Be- und Entwerter funktioniert leider wie immer perfekt.
Kurz darauf wird die Patientin aus dem Klo von einem Pfleger in eines der Behandlungszimmer gerollt. Sie sitzt apathisch zusammengesunken in ihrem Rollstuhl. Zwei Kabel lucken oben aus ihren Hemd und münden in Behälter seitlich des Stuhls. Mein Blick trifft zufällig den der lockigen Dunkelhaarigen. Wir denken wohl das gleiche: Der Himmel verschone uns vor so viel Leid.
Jetzt endlich. Die blonde Frau Schumann ist dran. Ich gehe nochmal schnell aufs Klo. Zehn Minuten später höre ich meinen Namen. Zeit der Wahrheit.
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liebe hilde: ein sehr berührender beitrag, sehr eingänglich geschrieben. er führt vor augen wie dankbar man/frau für gesundheit sein kann. hoffentlich war das ergebnis negativ (=positiv)! alle guten wünsche!