Verändert sich mit dem Alter unsere Persönlichkeit? Passen wir sie den neuen Lebensumständen im Alter an? Oder verstärken sich nur die Eigenschaften, die wir sowieso schon immer hatten? Und haben wir darauf irgendeinen Einfluss? Fragen.
Zugegeben, sie machen mir Angst, die Geschichten, die ich in meinem Bekanntenkreis über Veränderungen im Alter höre. Da ist Anne. Ihr Vater sei sehr eigen, und das ändere sich wohl auch nicht mehr. Wenn sie über ihn spricht, schwingt ein resignierter Unterton mit. Kein Wunder. Ihr Vater scheint unsagbar stur und uneinsichtig zu sein, was Dinge angeht, die nun mal nicht zu ändern sind. Gabis Großmutter macht ihr das Leben mit stoischen Wiederholungen höchst unvernünftiger Wünsche und gar mit Beschimpfungen das Leben schwer. Andere ältere Menschen entwickeln Ängste, Unruhe, Misstrauen, Feindseligkeit oder Aggressivität.
Harter Tobak. Für solche veränderte Verhalten – habe ich mir sagen lassen – gibt es meist konkrete biologische Ursachen. Es sind Beispiele dafür, wie ein geistiger Abbauprozess im Alter mit Verhaltensänderungen einhergehen kann.
Ganz neue Züge
Ich beobachte allerdings auch Veränderungen – bei anderen wie bei mir selbst –, bei denen ich mal davon ausgehe, dass sie nicht auf geistige Abbauprozesse zurückzuführen sind. Beispiel: Meine Freundin Emmi. Emmi strotzte noch nie vor Spontanität. Jetzt mit 65 Jahren muss wirklich alles nach Plan laufen. Montags Einkaufen, dienstags Garten, mittwochs Putzen. Kommt was dazwischen, fühlt sie sich sofort überfordert. Sie sagt, ihr fehle immer mehr die Kraft, bestimmte Dinge aufrechtzuerhalten bzw. abzuwehren. Ihre Leistungsfähigkeit – körperlich wie seelisch – hätte kolossal nachgelassen. Ich selbst habe Tage, an denen ich mich wie ein rohes Ei fühle. Ein falscher Blick genügt, und ich ziehe mich verletzt für Tage in meine Schale zurück.
Meistens sind es negative Entwicklungen, von denen ich höre. Ein gutes Beispiel kenne ich aber auch und zwar das von Hanni. Hanni blüht nach dem Tod ihres Ehemanns, gesundheitlicher Einschränkungen und Leben im Heim plötzlich auf. Sie meint, sie wäre jetzt endlich sie selber und hätte sich von nicht (mehr) erfüllbaren Wünschen verabschiedet. Das Hier und Jetzt zähle.
Mit 70 kann sich der Wind nochmal drehen
Was ist es, frage ich mich, dass uns im Alter nochmal so verändert? Und haben wir Einfluss darauf, in welche Richtung es geht?
Nun war die Persönlichkeitspsychologie jedenfalls bisher der Auffassung, dass mit etwa 30 Jahren der Charakter ausgebildet ist und dann auch so bleibt. Übrigens seien etwa die Hälfte der Persönlichkeitsunterschiede auf genetische Unterschiede zurückzuführen. Die andere Hälfte käme durch Sozialisierung, also durch Entwicklungen im Laufe des Lebens zustande. Im Laufe des Lebens stabilisieren sich dann die Persönlichkeitsmerkmale immer weiter. Irritierenderweise interessierte sich die Forschung nicht mehr für die Altersstufe 50plus.. Deshalb gibt es hier kaum Relevantes zu meinen Fragen.
Inzwischen hat eine Psychologin der Freien Universität Berlin, Jule Specht, dazu publiziert. Sie wertete gemeinsam mit Kollegen zwei große Bevölkerungsstudien aus Deutschland und Australien aus. Untersucht wurden fünf Eigenschaften, die den Charakter eines Menschen ausmachen: 1. seine emotionale Stabilität, 2. seine Offenheit für neue Erfahrungen, 3. die Verträglichkeit im Umgang mit anderen, 4. seine Gewissenhaftigkeit und 5. der Grad an Intro- oder Extraversion, der beschreibt, ob ein Mensch eher dazu neigt, sich zurückzuziehen oder nach außen zu richten.
Das Ergebnis zeigte, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen während des gesamten Lebens verändern kann. Speziell um die 70 J. nimmt etwa jeder vierte Mensch noch einmal ganz andere Persönlichkeitszüge an. Das kann in alle Richtungen gehen. Einige Ältere sind auf einmal weniger kontrolliert, leben impulsiver, andere gewinnen mehr innere Ruhe. Übrigens war das über die Kontinente hinweg gleich: bei den älteren Australiern ebenso wie bei den deutschen Rentnern, Frauen wie Männern.
Was verändert uns?
Obwohl sie den Einfluss verschiedener Faktoren prüften, konnten die Forscher nicht herausfinden, was die Veränderungen auslöst, sondern nur woran sie nicht liegen. Wir Älteren verändern uns demnach nicht, weil wir in Rente gehen, Großeltern werden, der Partner verstirbt oder die Gesundheit nachlässt. An den Genen läge es auch nicht –auch wenn man aus der Forschung wisse, dass genetische Unterschiede im Alter im größeren Maß über die geistigen Fähigkeiten eines Menschen bestimmen und der Einfluss der Umwelt zurückgeht.
„Mit unserer Studie konnten wir zeigen, dass es sogar im späteren Erwachsenenalter ein Veränderungspotential in der Persönlichkeit gibt, die wir in der gegenwärtigen Konstruktion unserer Gesellschaft und unseres Lebenslaufes noch nicht genügend ausschöpfen.“ Jule Specht
Was Specht meint, scheint mir Folgendes: Bis ins mittlere Erwachsenenalter gibt es in unserem Leben meist viel Dynamik. Wir finden einen Partner, bekommen Kinder, fangen neue Jobs an, wechseln den Wohnsitz. Danach werden die Anreize, sich weiterzuentwickeln, weniger. So ab 40 sinkt die Offenheit für neue Erfahrungen. Um diese Offenheit wieder zu steigern, braucht es neue Aufgaben, neue Reize.
Aus der derzeitigen gesellschaftlichen Konstellation heraus gibt es für die ältere Generation aber immer weniger dieser Reize. Im Arbeitsleben wird es träge, der Ruhestand läutet das Ende ein. Nur wenige haben den Schwung (oder auch die Lust), sich neue, sinngebende Herausforderungen zu suchen und ihnen zu stellen. Außerdem erfordern neue Situationen gleichzeitig die dazu notwendige Fähigkeit, mit ihnen umzugehen. Aber auch die hat inzwischen nachgelassen.
Und jetzt kommt es darauf an: Entdecke ich im Wandel eine Chance oder empfinde ich den neuen Zustand als Druck, Belastung oder Zwang? Komme ich mit veränderten Perspektiven zurecht, oder verharre ich im scheinbar Sicheren? Mit anderen Worten: es handelt sich um eine Medaille mit zwei Seiten, die Chancen wie Risiken in sich birgt. Einerseits das Gefühl, dass man nicht mehr gebraucht wird, an Kraft und Mut verliert. Anderseits die Chance zu lernen, sich Neuem zu öffnen und sich dem Fluss der Dinge anzuvertrauen.
Alter als Wachstumschance der Seele und Persönlichkeit
Einige Psychologen glauben, dass wir Ältere uns verändern, weil wir spüren, dass der Tod näher rückt. Da ist was dran, das glaube ich fest. Es gibt jedenfalls Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen, deren Leben zu Ende geht, dieses Leben noch einmal neu bewerten. So arbeiten wir im höheren Alter eher an uns selbst, wollen uns selbst zum Besseren verändern und nicht mehr das Außen oder die anderen.
Klar ist jedenfalls, dass im Lauf des Lebens Entwicklungsaufgaben existenzieller werden. Etwa die, mit Verlusten zurechtzukommen und – wie Hanni – sich von nicht (mehr) erfüllbaren Wünschen zu lösen. Dabei ist es gut zu wissen, dass Veränderungen im emotionalen Erleben, die das Altern mit sich bringt, im Unterschied zu körperlichen Veränderungen nicht automatisch einen Verfall bedeuten!
Es scheint, dass wir selbst herausfinden müssen, was mit uns passiert, weil wir gar nicht alle Veränderungen und Einflussfaktoren in diesem Lebensalter überblicken können. Ob wir, wenn wir uns weiterentwickeln, glücklicher werden, ist dabei auch nicht garantiert. Allerdings, meine ich, wenn man es tut, hat man wenigstens die Chance dazu.
Ich jedenfalls werde darum bemüht sein, beim Blick in den Spiegel nicht eines Tages Mrs. Hyde erblicken zu müssen.
von Hilde
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