In Japan ist das Entrümpeln von Wohnungen ein gutes Geschäft. Gleichzeitig pflegen die Japaner eine Kultur des Bewahrens. Sie nennen das „mottainai“- mit anderen Worten: „nicht verschwenden, was wertvoll ist“. Was das mit Abschied und Respekt zu tun hat.

In Japan, einem Land, ist die Entrümplung von Wohnungen Verstorbener, ein gutes Geschäft – zumal die Müllentsorgung im Land der aufgehenden Sonne enorm teuer ist und Secondhand-Firmen aus dem Boden sprießen, Das brachte Jeongja Han auf die Idee, eine Firma zu gründen, die Wohnungen reinigt und aufräumt. Der Hausrat wird gesammelt, verkauft und versteigert.

Jeonajas Geschäft mit den letzten Dingen fußt aber nicht nur auf einem boomenden Markt. Sie folgt dabei auch der japanischen „Kultur des Bewahrens“ – auf Japanisch „mottainai“. Auf Deutsch bedeutet das so viel wie „Was für eine Verschwendung“. Es drückt ein Gefühl des Bedauerns darüber aus, den Wert eines Objektes zu verkennen. Mottainai fordert dazu auf, Objekte bis zum Ende ihrer Lebensdauer zu verwenden.

Diese Haltung wird nochmal mehr von der Überzeugung der Japaner befeuert, dass alle Dinge einen Geist haben. Jede, die Dinge herstellt, sie besitzt und verwendet, gibt gemäß „mottainai“ ein Stück der eigenen Seele in die Sache hinein. Von dieser Einstellung ging in den modernen, letzten Jahrzehnten viel verloren. Nach zahlreichen Natur- und sonstigen Katastrophen wächst Inzwischen das (Umwelt)-bewusstsein der Japaner wieder. „Mottainai“ bedeutet heute, die Natur zu schützen, Ressourcen zu bewahren und Gebrauchtes wiederzuverwenden bzw. zu recyclen.

Entrümpeln – aber mit Respekt

In den nächsten Jahren könnte Jeonajas Firma enorm wachsen, denn die japanische Bevölkerung schrumpft immer mehr. Viele verwaiste Wohnungen also. Die Unternehmerin will aber nicht weiter expandieren. Vielmehr soll ihre Arbeit weiterhin von Qualität geprägt sein, sagt sie. Das bedeute, mit Kunden ebenso wie mit den hinterlassenen Dingen fürsorglich und gewissenhaft umzugehen. Jede noch so kleine Sache verdiene Respekt. Es gelte Fragen zu beantworten. Wer war dieser Mensch? Was erzählen ihre Hinterlassenschaften über sie? Solche Fragen beschäftigen Jeongja beim Reinigen der Wohnung einer gerade Verstorbenen. Schließlich gelte es, eine ganze Wohnung, ein ganzes Leben zu entsorgen.

Ich musste das nur einmal beim Tod meiner Mutter tun. Damals konnte ich das Ganze gar nicht schnell genug hinter mich bringen. Der Fakt, dass meine Mutter starb, ohne dass ich sie nochmal gesehen hatte, die Suche nach einem Heim für meinen dementen Stiefvater – all das hatte mich enorm gestresst. Ich wollte gar nicht so tief in das Leben meiner Eltern hineinschauen, nicht entscheiden müssen, was mit all ihren Besitztümern geschieht. Damals war ich dankbar, dass der Hausmeister im Haus meiner Eltern so eine große Hilfe war. Den hatte mir wohl ein Engel geschickt.

Was bleibt, ist die Erinnerung

Trotzdem war es ein beklemmendes Gefühl, den Besitz meiner Eltern einzupacken und wegzugeben. Viel war es wahrlich nicht – eine Tatsache, die mich bis heute beschäftigt und seltsam berührt. Bei den meisten von uns quellen die Regale und Schränke über. Fast jede spricht davon, dass sie eigentlich zu viel Zeugs aufhebt und besitzt. Doch Ausmisten erfordert (Entchluß-)Kraft, und die bringen wir offensichtlich nur schwer auf.

Meine Eltern jedenfalls besaßen nur wenig. Handtücher, Geschirr, Kleidung – all das gab es nur in überschaubaren Mengen. Die Bettwäsche hatten teilweise schon meine Großeltern in Gebrauch. Staubfänger, Krimskrams waren ebenfalls kaum vorhanden. Keine Briefe, keine Karten, kaum Fotos. Selbst der Kühlschrank war nur mit dem Nötigsten bestückt.

Eine kleine goldene Uhr, ein schmaler Brillantring und ein Ring meiner Großmutter waren alles, was ich in der kleinen Schmuckschatulle meiner Mutter fand. Die Schatulle mit kleinen Muscheln und Seesternen verziert – an sie erinnere ich mich noch gut. Meine Mutter hatte sie auf einer Reise an den Bodensee im Jahr 1960 erstanden.  Dazu gab es noch ein Kleid aus Goldbrokat. Ich erinnere mich daran, dass sie es in jüngeren Jahren bei irgendeinem offiziellen Anlass mit unglaublichem Stolz getragen hatte, denn Brokat war teuer und man konnte damit was hermachen. Dann gab es noch einen schweren Mantel aus Webpelz, so schwer, dass sie ihn wohl kaum getragen hatte. Und da gab es sogar noch den schwarzen Wollmantel meiner Großmutter. Den hatte sie wohl wegen des schönen Persianerkragens fürsorglich aufgehoben.

Das meiste von den Sachen konnte damals der Hausmeister gebrauchen. Anderes habe ich verschenkt. Die Uhr, den Brillantring, den Mantel an Freundinnen. Das ich nichts auf den Müll werfen musste, erleichterte mich kolossal. Auch wenn ich damals noch nichts von mottainai gehört hatte. Irgendwie hatte das Weiterleben der Besitztümer meiner Eltern etwas Tröstliches. Ich behielt nur eine Muschel der Schmuckschatulle.

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