Alice Schwarzer und 26 Prominente warnen Scholz in einem Brief vor weiterer Kriegseskalation. Sollten wir wirklich alles tun, nur um des lieben Friedens willen? Außerdem: Kinostart „Nawalny“

In den letzten Tagen haben sich viele zu diesem Brief geäußert. Einige zustimmend, andere kritisch. Mich regt er auf.

Dazu solltet ihr wissen, dass ich in einer Zeit aufwuchs, in der alle genug von Krieg hatten. So richtig rückte Krieg jedoch erst mit dem Vietnamkrieg  und dem Kalten Krieg in mein  Bewusstsein. Vor allem durch die Friedensbewegungen in den 70er und 80er Jahren. Make Love, no War – das war die Parole meiner Generation. Und da gibt es ja auch noch das 5. Gebot: Du sollst nicht töten.  So hätte ich mich bislang wohl eher als Pazifistin eingestuft. Heute stelle ich das in Frage.

Eines ist klar: keine von uns will Krieg. Und es ist ein schreckliches Gefühl, wenn die Angst davor so nah rückt und wenn man solch unberechenbaren und bösartigen Machtinhabern wie Putin gegenübersteht. Doch der erwähnte Brief folgt meines Erachtens einem völlig falschen Anliegen. Es geht doch nicht allein darum, ob wir jetzt Waffen an die Ukraine liefern oder nicht. Für mich ist die zentrale Frage, wie wir Frieden schaffen können, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Konsequenzen.

Dabei bin ich für Diplomatie, auch wenn sie bislang wenig gebracht hat. Sie allein kann es nicht sein, das hat sich gezeigt. Im Gegenteil. Wenn wir jetzt nicht Haltung und klare Kante zeigen, die sich auch in eindeutigen Entscheidungen ausdrückt, was wäre dann? Gäbe es dann wirklich „Frieden“? Und wäre ein Leben, wie wir es uns vorstellen, selbbestimmend und frei,  in diesem Frieden dann möglich? Ich meine Nein. Die Großmachts-Phantasien Putins gehen schon längst über die von uns gedachten Grenzen hinaus. Denkt eine von uns noch im Ernst, er würde es bei der Übernahme der Ukraine belassen? Putin ist keiner, der Gefangene macht. Alles, was je Opposition war, hat er konsequent im eigenen Land ausgelöscht. Bei einer Kreuzotter würde es vielleicht noch was bringen, ganz still zu stehen, damit sie nicht zubeißt. Nur sind wir von Putin schon längst zum Feind erklärt. Die Aggression, die Bedrohung ist real. Die Schlange beißt zu, gleich, wie still wir stehen. Vielleicht sogar fester und schneller. Wir uns also entscheiden, was wir wollen. Stehen wir zu unseren Werten? Haben wir die Courage, diese Werte auch zu verteidigen? Zur Not mit negativen Konsequenzen für uns?

Nun sind Waffenlieferungen in die Ukraine und Aufrüstung sind bestimmt das letzte, was ich mir jemals gewünscht habe. Und sie können und dürfen natürlich nicht die alleinige Antwort und Maßnahme sein. Aber sie tragen hoffentlich dazu bei, Putin zu stoppen. Und sie sind mir allemal lieber, als das zu verlieren, was mir an meinem Leben  als das Wichtigste erscheint: Freiheit und Würde.  Daher an alle Brief-UnterzeichnerInnen. Wenn man sich o.a. Fragen ernsthaft stellt, wird klar, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Und nur der gute Wille zum Frieden schafft noch keinen. „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren,“ das sagte schon Benjamin Franklin.

Ich würde sogar noch eines draufsetzen frei nach Erich Kästner (Fliegendes Klassenzimmer): „An allem Greul, das passiert, sind nicht nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern“,  bespielsweise weil ihr oder ihn ihr/sein eigenes Wohlergehen wichtiger erscheint. Dass ausgerechnet die Feministin Alice Schwarzer angesichts der vielen Vergewaltigungen im Ukraine-Krieg für Zurückhaltung ist, entzieht sich daher meinem Verständnis.

Übrigens kommt heute der Doku-Film über den Putin-Kritiker Alexej Nawalny ins Kino. Er soll spannend sein wie ein Thriller und zeigt viel der Bösartigkeit und Skrupellosigkeit des Kreml. Er wird als Aufakt beim Münchner Dokfest gezeigt. Ich habe schon Ausschnitte daraus gesehen. Danach war ich platt. Es heisst überall, wenn wir Frieden wollen, müssen wir Kompromisse finden. Nach diesen Ausschnitten sehe ich keine, noch nicht mal in weiter Ferne. Der Film endet übrigens mit einem „Gebt nicht auf“ seitens Nawalny.

und noch ein interessanter Artikel für „Nach dem Krieg“ in TAZ: https://taz.de/Nach-dem-Krieg/!5849319/

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