Was bedeutet Freiheit für uns? Wann fühlen wir uns wirklich frei? Was ist uns Freiheit wert? Und verwechseln gerade in Zeiten von Corona viele nicht Freiheit mit grenzenlosem Egoismus?

Da gibt es eine Gruppe älterer Menschen, die zusammen in einem Haus leben. Jeder in seiner eigenen Wohnung, aber sie verstehen sich als Gemeinschaft, in der man füreinander da ist. Einen Raum, den sie gemeinsam nutzen, haben sie auch. Ein Bewohner bat nun darum, dass dort die Corona-Regeln eingehalten werden. Das Übliche halt: Abstand, Lüften etc. Die Mehrheit der Mitbewohner war nicht nur dagegen, man giftete den besagten Bewohner sogar an. Da fielen Bemerkungen wie „Behandele uns nicht wie unmündige Bürger“ oder „Übereifrige Corona-Wächter“.

Nicht nur dort scheint die Gewöhnung die Vorsicht abgelöst zu haben. Man ist des Themas müde. Menschen gehen auf die Straße, um ihre wegen des Gesundheitsschutzes eingeschränkten Grundrechte einzufordern. Massen treffen sich zu Feiergelagen auf dem Frankfurter Opernplatz. Andere wiederum leugnen gar die Existenz des Virus. Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Pandemien lähmen anscheinend den klaren Menschenverstand. Denn wie sinnvoll ist das denn, wenn man es für „Freiheit“ hält, keinen Mundschutz zu tragen und damit die Gefahr der Ansteckung für sich und andere erhöht?

Freiheit oder Willkür?

Nun, lassen wir mal Corona, Corona sein. Ich frage mich vielmehr, warum sich so viele Menschen schon „unfrei“ fühlen, nur weil sie mal nicht ohne weiteres shoppen, ins Kino gehen oder in Mallorca Urlaub machen können. Anscheinend fällt es unserer konsumorientierten Wohlstandsgesellschaft schwer, mal nicht zu tun, was und wann man es will.

Geht die eigene Freiheit denn wirklich über alles? Das ist keine neue Frage. Schon der Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant befasste sich mit ihr. Für ihn war Freiheit eben genau nicht, das zu tun, was man will. Das nannte er vielmehr „Willkür“. Solche Menschen seien wie Kinder, die mit dem Fuß aufstampften, wenn sie ihren Willen nicht bekämen. Wahre Freiheit, meinte Kant, hätte so etwas wie Hirn und Herz, sie beschränke sich selbst aus Liebe zu anderen. Wir seien eben nicht allein auf der Welt und stünden stets im Bezug zu unserem Umfeld.

Es scheint, als hätten viele von uns heutzutage diesen Bezug vollkommen verloren – ebenso wie eine gesunde Verhältnismäßigkeit, bedenkt man, dass Menschen ganz andere Dinge „ertragen“ müssen, beispielsweise wegen ihrer Hautfarbe unterdrückt werden oder, weil sie ihre Meinung äußerten, im Gefängnis sitzen.

Wahre Freiheit

Was aber ist denn nun wahre Freiheit? Eine allgemeingültige Antwort gibt es nicht. Ich lese nach: „…. wir müssen zwischen kollektiver und individueller Freiheit unterscheiden. Zudem befindet sich der philosophische Freiheitsbegriff in einem permanenten Wandel und impliziert soziale, psychologische, kulturelle, politische, rechtliche und religiöse Dimensionen.“ Aha. Der eine fühlt sich also frei, wenn er mit 200 km/h über die Autobahn rasen kann. Ein anderer empfindet es als Freiheit, ohne Uhr zu leben, aufzustehen und ins Bett zu gehen, wann er will. Ein Dritter braucht den Bezug zur Natur und verbringt daher viele Stunden am Tag im Wald.

Ich kann mich erinnern, dass ich als junge Frau dachte, dass ich mich freier fühlen würde, wenn ich nicht arbeiten müsste. Es war nicht die Arbeit selbst, die mich störte. Es war einfach die Tatsache, dass ich dachte, ich hätte keine andere Wahl. Ich brauchte schließlich Geld. Demgemäß wäre Freiheit wohl, automatisch reich zu sein? Nun wohl eher, die Option zu haben, zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen und entscheiden zu können. Da ist was dran. Nur inzwischen bin ich Rentnerin, bekomme regelmäßig meine Rente. Trotzdem fühle ich mich weder glücklicher noch freier als damals.

Beweist das nicht, dass es zur äußeren Freiheit auch eine innere Freiheit geben muss? Harriet von Behr schreibt: „Unter Menschen, die in ihrem Leben in extremer Weise die Freiheit entbehren mussten, waren einige, die es sich nicht nehmen ließen, sich ihre innere Freiheit zu bewahren, indem sie sich bspw. freistellten, ihre Peiniger nicht zu hassen.“ Demgemäß entscheidet jede für sich selbst im Inneren, was uns frei oder unfrei macht.

Das halte ich für wesentlich und gleichzeitig ungemein schwierig. Denn wir sind schließlich alle Teil einer Gesellschaft und da gibt es Normen, Regeln, Traditionen. Wir vergleichen uns ständig mit anderen, sind Zwängen unterworfen oder hängen fest in irgendwelchen Erwartungen. Wir sind auf die Akzeptanz der anderen angewiesen und deshalb passen wir uns bis zu einem gewissen Grad an. Um anerkannt zu werden, habe ich mich jedenfalls schon oft „ein-/gefügt“ oder einem „Muss“ unterworfen. Ich denke allein an die Überstunden, die ich gemacht habe, um karrieremäßig vorwärts zu kommen, an Dinge, die ich tat, um einem Mann zu gefallen oder Geld, das ich ausgab, um „statusgemäß“ zu wohnen. Sind wir daher nicht alle irgendwie Gefangene unseres eigenen Systems? Wer von uns ist schon in der Lage, sich von solchen Dingen komplett frei zu machen? Wahrscheinlich die wenigsten von uns.

„Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.“ Jean-Jacques Rousseau, 1712-1778

Freiheit braucht Mut

Freiheit geht jedenfalls nicht ohne Mut. Das gilt für Menschen wie Whistlblower oder  Regimekritiker ebenso wie für Menschen, die sich für  eigene, unkonventionelle Lebenswege entscheiden. Da war gerade eine ehemalige Managerin im TV-Interview, die viele tausend Kilometer im Jahr wandert. Die Entscheidung dafür kam zufällig, sagt sie. Heute besitzt sie nur noch das Nötigste: das ist die Kleidung, die sie trägt, und eine Tasche mit ca. 500 Gramm Inhalt. So hat sie ihr Glück gefunden. Je weniger man besitzt, so ihre feste Überzeugung, desto freier wird man. Die Ansicht ist ja nicht neu. Epikur sagte: „Wem wenig nicht genügt, genügt nichts.“

Für uns in der heutigen Zeit ist dieser Weg der Besitzlosigkeit, des Verzichts, des Loslassens ganz sicher kein leichter. Wie sagte die oben erwähnte Managerin: „Man muss sich halt irgendwann entscheiden, dazu braucht es Mut, eine innere Entscheidung, sich vom außen zu lösen und auf sich selbst zu achten, die Dinge zu tun, die man will.“ Tja, manchmal ist es so einfach.

Fakt ist, grenzenlose Freiheit gibt es nicht. Selbst wenn wir frei von den erwähnten Erwartungen und Zwängen wären, gibt es noch eine weitere Instanz, mit der wir konfrontiert sind. Sprich: dem realen Leben. Und das ist nicht ohne Risiko. So sehr wir auch planen und versuchen, uns abzusichern, die totale Kontrolle haben wir nicht. Keiner weiß, was Morgen passiert. Wie frei oder wenig frei wir wirklich sind, das führt uns gerade ja auch das Corona-Virus so trefflich vor Augen. Da eröffnen wir bspw. mit besten Prognosen ein neues Geschäft – und dann kommt das Virus. Und wenn besagte Managerin nicht in guten Zeiten Geld gespart hätte, dann wäre das Wandern wohl auch nicht so lustig.

Freiheit bedeutet Befreiung

Also, folgere ich, geht es darum, sich innere Freiheit zu erarbeiten. Ich stelle mir das in etwa so vor wie bei Tuvog (Star Trek Raumschiff Voyager). Vulkanier lernen nämlich schon in jungen Jahren durch geistige Übungen und Meditation, frei von Angst, Zorn und Leid zu sein. Ein herrlicher Geisteszustand, finde ich. Vulkanier haben keine negativen Gedanken, sie folgen rein der Vernunft. Doch genau das verwehrt ihnen auch, ihre eigene Seele sprechen zu lassen. Mit Liebe ist es ebenfalls nicht weit her. Dann ist das Vulkanier-Leben wohl auch nicht das Wahre.

Ich stelle mir also vor, ganz und gar wahrhaftig zu leben. Ich würde stets zu mir stehen mit all meinen Fehlern und Schwächen. Ich tue alles nur noch für mich und nicht um andere zu beeindrucken. Ich bin ehrlich und handele nie gegen meine Überzeugung. Ich bin offen gegenüber dem Leben und neuen Chancen, ich gehe auf Menschen zu und entwickelte mich weiter. Ich folge meinen Herzen. Ich wäre die, die ich bin. Alles würde fließen. Wäre das dann vollkommene Freiheit?

Was meint Ihr?

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