Es gibt bestimmt eine Menge Dinge, auf die man stolz sein kann und darf. Gehört die Tatsache, Deutsche zu sein, dazu?

In meinem Bekanntenkreis verwenden die Leute das Wort „Stolz“ eher selten. Meistens ist man stolz auf Dinge, die man nur mit einer Menge Disziplin, Durchhaltevermögen, Kraft und manchmal auch Mut erreicht hat. In letzter Zeit höre ich jedoch öfter den Satz „ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein“. Jetzt vor den Landtagswahlen in Brandenburg ist das vermehrt zu hören. Diesen Nationalstolz kenne ich schon aus den USA. Dort gehört es schon fast zum Alltag, sich mit Stars & Stripes zu schmücken.

Ich habe mal nachgelesen. Aristoteles war einer der ersten, der über „Stolz“ nachdachte. Für ihn ist Stolz eine Tugend. In seinem Denken lässt sich der Begriff mit „Seelengröße“ oder „Großgesinntheit“ übersetzen. Allerdings durfte man sich laut dem großen Philosophen nicht für große Dinge werthalten, man musste als Person „stolz“, also „selengroß der großgesinnt“ sein. Stolz war für ihn also ein Charakterzug. Alles andere – so Aristoteles – wäre Eitelkeit Kleinmütigkeit oder übersteigertes Selbstbewusstsein. Im Christentum dagegen ist Stolz alles andere als eine Tugend und kommt gefährlich nahe an die Todsünde. Denn wem als Mensch etwas gelingt, dem gelingt dies nur mit Gottes Gnade und Hilfe. Demut sei angesagt – meint die Kirche.

Aber darf man, abseits von Aristoteles und christlichem Fundamentalismus, auf sich selbst und seine Errungenschaften stolz sein? Ich glaube die meisten Menschen habe keine Probleme damit, wenn andere auf eine konkrete Leistung stolz sind. Gewinnt eine Athletin beispielsweise bei der Olympiade eine Medaille, finden wohl alle, dass sie zurecht stolz auf ihre Leistung ist. Andererseits: Beispiele wie „Ich bin stolz auf dich“ machen deutlich, dass wir uns von der antiken Interpretation weit entfernt haben. Inwiefern ist es überhaupt statthaft, auf jemand anderen stolz zu sein beziehungsweise auf etwas, das ein anderer geleistet hat? Tatsächlich will man wohl die Person zu größerem Selbstwertgefühl ermuntern, doch der Lobende hat mit der konkreten Leistung der Person nichts zu tun.

Vor diesem Hintergrund habe ich meist ein flaues Gefühl im Magen, wenn jemand meint stolz darauf sein zu müssen, Deutsche zu sein. Obwohl ich selbst gerne in Deutschland lebe und mich mit meiner Heimat verbunden fühle, kann ich diesen Nationalstolz nicht nachvollziehen. Wie kann ich auf etwas stolz sein, das so ganz und gar zufällig geschieht? Und auf was genau bin ich denn stolz? Dass ein Deutscher namens Benz das erste Auto erfand? Dass Einstein die Relativitätstheorie entwickelte? Oder dass wir die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sind? Irgendwie komme ich nicht umhin, dass solche Sätze für ein kränkelndes Selbstwertgefühl herhalten müssen. Wen ich selbst schon nichts habe, auf was ich stolz sein kann, bin ich wenigstens stolz darauf, Deutsche zu sein. Besonders fragwürdig erscheint mir der Fakt, dass Rechte meinen, das dürften jedoch nur „echte“ Deutsche. Für Ahmed, der vor 32 Jahren nach Deutschland kam und inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat, gilt das laut ihrer Interpretation natürlich nicht. Diese Tendenz kenne ich übrigens schon aus den USA. Die dortigen Patrioten haben unterschiedliche Gründe für ihren Stolz. Die ursprünglichen ideellen Werte der Amerikaner wie freie Rede, frei zu leben sind dabei schon längst zur Farce geworden.

Kann ich dem Nationalstolz trotzdem etwas Positives abgewinnen? Ja, ein bisschen schon. Nichts spricht dagegen, dass wir stolz darauf sind, in einem friedlichen, demokratisch geführten Land zu leben und uns dafür einsetzen, dass es so bleibt. Richtig finde ich dabei, realistisch zu bleiben und einen Blick auf die Vergangenheit ebenso wie die Realität zu behalten. Nicht als dauerhafte, schambesetzte Nationalsünde oder Bedenkenträgerei, aber als wache, lernende Menschen mit offenem Blick, damit Deutschland ein gutes Land bleibt – eines mit Seelengröße.

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