Ich mag französische Filme, italienisches Dolce Vita, englischen Humor, skandinavisches Design, lese russische Literatur und ich habe eine moldawische Freundin. Ich bin eben Europäerin – eine mit Sorgen um das europäische Staatengeflecht.
Auch wenn sich mein Einstieg vielleicht etwas flapsig liest, mir geht die Situation rund um Europa und die EU nah. Vielleicht weil ich mit Europa groß geworden bin. Ich liebe die offenen Grenzen, die Freiheit, überall in der EU wohnen und arbeiten zu können. Einfach mal schnell ins Nachbarland fahren, ohne an den Reisepass denken zu müssen. Ich steige in den ICE und kurz drauf besichtige ich den Louvre in Paris, die Ufici in Rom oder die Akropolis in Athen. Ich mag unsere Nachbarn, die verschiedenen Kulturen und Bräuche, die wunderschönen und so vielfältigen Landschaften, die historischen Orte und lebendigen Städte. „Good old Europe“ verdankt die Menschheit unzählige Meisterwerke der Architektur, der bildenden Künste, der Musik, der Literatur und der Philosophie. Und Europäer waren es auch, die mit bahnbrechenden Entdeckungen und Erfindungen die Welt veränderten. Im Gegensatz zu allen anderen Erdteilen definiert sich unser Kontinent weniger über seine natürlichen Grenzen als über gemeinsame Geschichte und Kultur. Das ist spürbar in unserem Leben – und einzigartig in der Welt.
Aber da ist noch was Wichtiges, warum ich für Europa einstehe. So reifte erst spät die Erkenntnis, dass das Miteinander den Völkern mehr dient als das Gegeneinander. Endlich nach zwei Weltkriegen schien Europa der Ausweg zu sein aus Nationalismus, Wettrüsten und Rivalität. 1950 wurde der Weg mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl für eine solche Einigung geebnet. 1957 folgte die Gründung der EWG und schließlich 1993 die der Europäischen Union. Seit ich denken kann, war Europa ein Kontinent vieler freier Staaten, ein Garant für Frieden – und ein stabiler Gegenpol zu aller Unruh, Unterdrückung und Ungerechtigkeit in der Welt. Und, last, but not least, unglaubliche 70 Jahre Frieden!
„Europa ist kein Ort, sondern eine Idee“, so hat es der französische Philosoph und Publizist Bernard-Henri Lévy einmal ausgedrückt.
No more Europe?
Nicht jeder mag Europa und schon gar nicht die EU. Spätestens die Eurokrise brachte das Vertrauen der Menschen in die europäischen Institutionen ins Wanken. Ein weiteres großes Thema, an dem das Scheitern der europäischen Integration sichtbar zu Tage tritt, ist die Flüchtlingsfrage. Dazu kommt die America-First-Politik von Trump. Russland gefährdet ebenfalls die Integrität Europas, indem es rechtspopulistische Parteien stärkt. Ach, und auch wenn die berüchtigte EU-Vorschrift zum Krümmungsgrad der Gurke bereits vor Jahren wieder abgeschafft wurde, steht sie bis heute als Symbol für den viel kritisierten Regulierungswahn Brüsseler Bürokratie.
Für keines der angerissenen Problemfelder zeichnet sich bisher eine Lösung ab. Die Identitätskrise Europas hält an. Nationalistische Tendenzen nehmen zu. Europa scheint immer stärker auseinanderzudriften. Ein Resultat ist der Brexit. Stimmt es also? Ist die EU am Ende – es merkt nur keiner? Tragen wir die Idee eines gerechten, freien und gleichen Europas zu Grabe?
Qui vadis, Europa?
Ich hoffe nicht. Denn ich will weiterhin ein Europa der gemeinsamen Kultur, des selbstverständlichen Austauschs, der alltäglichen Begegnung, der Freizügigkeit und des Friedens. In Zeiten nationaler Abschottung, rechter Populisten und politischer Alleingänge wünsche ich mir ein Europa, das gemeinsam gegen die immer stärkere Umverteilung von unten nach oben vorgeht, das zusammenhält, wenn es um die Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus geht, das Zeichen setzt, für ein freies, vereintes und solidarisches Europa.
Nicht zuletzt auch, weil es genug Herausforderungen und Probleme gibt, die sich allein auf nationaler Ebene nicht lösen lassen. Ein zentrales Beispiel: der Klimaschutz. Die Brexit-Verhandlungen zeigen zudem, wie verflochten wir in Europa bereits sind und wie viele Nachtelle Großbritannien sich einhandelt, wenn es jetzt aus der EU aussteigt: Angefangen bei den Visabestimmungen über internationale Forschungsprojekte bis hin zu Zöllen auf Im- und Exporte. Fazit: auch mir stinkt vieles, vieles an der EU-Poltiik, aber deshalb Europa abschaffen? Kommt nicht in Frage.
Geht zur Europawahl!
Sonntag ist Europawahl. Gehst du hin? Ich hoffe doch. Das Europäische Parlament ist stärker und unabhängiger als die meisten nationalen Parlamente, sodass die Europawahl eine sehr wichtige Wahl ist. Dieses Jahr sieht es durch den Brexit möglicherweise so aus, als wäre die Wahl das Endspiel um Europa. Andere sehen das nicht ganz so dramatisch. Aktuell haben wir die Sondersituation, dass Großbritannien an der Wahl teilnehmen muss. Für den Rest Europas kommt es darauf an, den Brexit so gut es geht auszublenden und auf die sachpolitische Ebene zurückzukommen.
Ich finde, wir wären alle sehr dumm, wenn wir unser „good old Europa“ nicht mit aller Kraft und Macht in neue Zeiten bringen würden. Ich sage nur: Ran an die Urne. Wählt vor allem auch Frauen, denn aktuell sind nur 273 von 751 Abgeordneten weiblich!
Foto: Von Unbekannt – Ancient greek vase https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10894916
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