Das Recht auf Abtreibung könnte in den USA bald stark eingeschränkt werden – und damit die Frauenrechte. Auch der § 218 schreit nach Reform.

Dass Frauen seit 1995 selbst über den eigenen Körper bestimmen dürfen, halte ich für einen der wichtigsten Erfolge der Frauenbewegung. Daher beschäftigt mich derzeit das, was ich über die USA lese. Dort sind Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt – heute etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Die Demokraten haben gerade vergeblich versucht, dieses Recht mit einem bundesweiten Gesetz sicherzustellen. Blockiert haben es die Republikaner mit 51 gegen 49 Stimmen. Das Votum lässt erwarten, dass das Oberste Gericht (ultrakonservativ) in den kommenden Wochen die bisherige Regelung aufhebt. Das wiederum würde für konservativ regierte Staaten den Weg freimachen, Abtreibung zu verbieten.

In Oklahoma hat der Gouverneur ein Gesetz unterzeichnet, das so gut wie alle Schwangerschaftsabbrüche verbietet. In Texas beispielsweise sind bereits heute Abtreibungen ab der sechsten Schwangerschaftswoche verboten – also innerhalb eines Zeitraums, indem die meisten Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Private Institutionen wollen ungewollt Schwangeren (meist Opfer häuslicher Gewalt, von Inzest und Vergewaltigungen) „helfen“. Diese müssen sich im Gegenzug verpflichten, keine Liebensbeziehungen einzugehen, keinen Männerbesuch zu empfangen und täglich an den gemeinsamen Gebeten teilzunehmen. Das erinnert mich an dunkle Zeiten, in denen es Rettungsanstalten für „gefallene“ Mädchen gab. Ich frage mich, ob man das auch mit werdenden Vätern so machen würde.

Ein Blick zurück

Ich muss an die Zeit denken, in der ich und wohl die meisten meiner Altersgenossinnen ihr „erstes Mal“ erlebten, eine Zeit vor etwa 55 Jahren. „Komm‘ mir ja nicht mit einem Kind nach Hause“ – davor wurden wir zuhause mehr als einmal gewarnt. Einen „Balg“ großziehen zu müssen, bedeutete damals Ausgrenzung und Leid – für Mutter, Kind und die ganze Familie gleichermaßen. So hatten wir alle einen Riesenbammel davor, unverheiratet schwanger zu werden. Wie man sicher verhütet, wusste allerdings kaum eine wirklich. Auch der Sexualkundeunterricht, den es ab 1968 in den deutschen Schulen gab, half nicht viel weiter, beschränkte er sich doch vorrangig auf biologisches Wissen. Da gab sich Dr. Sommer in der Bravo schon ein bisschen mehr Mühe, aber Papier ist eben geduldig.

Daher waren all‘ diejenigen heilfroh, die nicht-schwanger durch die Zeit erster sexueller Erfahrungen kamen. Und langsam änderten sich die Zeiten. Vor allem kam da diese eine kleine Pille auf den Markt. Ab 1961 durften Apotheken die Antibabypille verkaufen – allerdings zunächst nur an verheiratete Mütter auf Rezept. Die Einführung rief damals zahlreiche Kritiker auf den Plan, darunter vor allem die Kirche. Jedenfalls dauerte es noch länger, bis auch wir jungen, unverheirateten Frauen die Pille verschrieben bekamen. „Die nimmt schon die Pille“ hörte man trotzdem noch mehrere Jahre hinter vorgehaltener Hand tuscheln und machte damit junge, sexuell aktive Frauen zu Schlampen. Jedenfalls war der Siegeszug der Antibaby-Pille nicht mehr aufzuhalten.

Mit der 68er Bewegung kam dann die sexuelle Revolution – mit dem Bestreben, sich von alten Tabus, rigiden Moralvorstellungen und dem herrschenden Schweigen zu befreien. Das war wichtig. Allerdings: Frei, ungebunden sein, Sex zu haben, wenn man dazu Lust dazu hat, mit wem frau wollte, ohne Konsequenzen – das war nicht immer nur „geil“. Gerade uns Frauen bescherte die „freie Liebe“ nicht nur neue Freiheiten, sondern mitunter auch neue Zwänge. Aber das ist ein anderes Thema.

Ab nach Holland

Trotz Pille hatten ich und viele meiner Freundinnen jedenfalls trotzdem noch Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft. Verhütungsunfälle kommen  immer wieder mal vor. Und Abtreibung war damals nicht. Wir hörten Schauermärchen von Frauen, die versucht hatten, den Fötus mit Kleiderbügeln, Stricknadeln oder irgendwelchen Laugen abzutreiben. Methoden, die übrigens noch heute in manchen Ländern der Welt angewendet werden und Frauen das Leben kosten. Ab den 1970er Jahren etablierte sich dann hierzulande so etwas wie ein „Abtreibungstourismus“ für ungewollt Schwangere in das nahegelegene Holland. Das ist übrigens bis heute so. 11 Prozent der Patientinnen, die dort im Jahr 2018 Abtreibungen vornehmen ließen, kamen aus dem Ausland. Davon waren zwei Drittel aus Deutschland und Frankreich. Das hat mehrere Gründe.

So gibt es bei uns seit 1995 die sogenannte Beratungsregelung – letztlich ein Kompromiss in Form einer Kombination aus einem durch eine Beratungspflicht ergänzten Fristenmodell bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und einer erweiterten medizinischen und kriminologischen Indikationenlösung. Danach sind Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig und ungewollt Schwangere auf die Möglichkeit, in den Niederlanden abzutreiben, angewiesen. Das wird vor allem Thema im Falle von Vergewaltigungen. Ein Thema, das oft geflüchtete Frauen betrifft, denn bis diese in Deutschland angekommen sind, sind meistens Monate vergangen. Der Weg in die Niederlande ist dann der einzig offene. Außerdem sind in den Niederlanden Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit der Frucht (bis zur 24. Woche) straffrei.

Interessant zu wissen: Trotz der liberalen Gesetzgebung gehören die Niederlande zu den Ländern mit den wenigsten Abtreibungen weltweit. Als Grund dafür nennen Experten die umfassende Aufklärung und den einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln.

Unverkennbar ist jedenfalls, dass das derzeit bei uns geltende liberale Abtreibungsrecht von dem Bestreben gekennzeichnet ist, einer „willkürlichen“ Dispositionsfreiheit der Schwangeren über das ungeborene Leben im gesetzlich verbliebenen Rahmen entgegenzuwirken und ihr die grundsätzliche rechtliche und gesellschaftliche Missbilligung ihres Verhaltens zu verdeutlichen. Zudem führt die Stigmatisierung durch das deutsche Strafrecht dazu, dass immer weniger Ärzte:innen hierzulande Abbrüche durchführen. In einigen Teilen Deutschlands müssen ungewollt Schwangere weit fahren, um eine Abtreibung zu bekommen.

In den USA ist die Situation noch drastischer. Dort werden Ärzte:innen, die abtreiben, regelrecht terrorisiert. Dazu vielleicht noch eine weitere interessante Info: Der Schwangerschaftsabbruch stellt den am häufigsten durchgeführten medizinischen Eingriff bei Frauen dar. Doch in Deutschland wird er während des Medizinstudiums noch nicht einmal gelehrt! (Emma 9. Mai 2022). Bislang war bei uns selbst die sachliche Information über Abtreibungsemethoden (bspw. auf Arzt-Webseiten) bei uns verboten. Das soll künftig nicht mehr strafbar sein – geht es nach der Ampelkoalition. Naja wir werden sehen.

Eine Entscheidung, die sich keine Frau leicht macht

Eines ist wohl klar: Die Entscheidung für eine Abtreibung macht sich wohl keine Frau leicht. Für die meisten ist sie weniger ein Ausdruck von Selbstbestimmung als ein „Dilemma“. Beziehungsprobleme, finanzielle Sorgen, schwierige Lebensumstände, sexueller Missbrauch – die Gründe der Frauen sind vielfältig. Die Schwere der Entscheidung liegt auf der Hand, geht es doch gleichzeitig um das Leben der Frau, ihren Lebensentwurf und ihre -kraft wie auch um das Leben des Ungeborenen.

Ginge es jedenfalls nach den Abtreibungsgegnern, so müssten alle Frauen – auch Frauen in gewalttätigen Beziehungen, Vergewaltigte, Alleinerziehende, Arme, Minderjährige – ihre Kinder bekommen. Ultrafromme sehen sogar Verhütung kritisch und als Droge, die Frauen dazu bringt, ohne Trauschein mit dem Falschen zu schlafen.

Das steht quer zur gesellschaftlichen Realität. Die Erfahrung zeigt: Abtreibungsgesetze verhindern Abtreibungen nicht, machen sie aber gefährlich. Studien belegen, dass Frauen in Ländern, in denen Abtreibungen verboten sind, illegale Wege finden. Sie riskieren lieber ihr eigenes Leben als ein neues zur Welt zu bringen. Von den jährlich weltweit 208 Millionen Schwangerschaften, werden etwa 42 Millionen (20 Prozent) durch einen Abbruch beendet. Fast die Hälfte wird schätzungsweise auf eine unsichere Art durchgeführt, was zu einer hohen Anzahl schwerer Komplikationen führt. Man spricht von etwa 5 Mio. stationären Behandlungen. Die Zahl der Todesfälle variiert weltweit zwischen 50. und 70.000.

Bei uns in Deutschland geht die Zahl der Abtreibungen seit den 2000er Jahren stetig zurück. 2021 wurden rund 94.600 Schwangerschaftsabbrüchen registriert. Am häufigsten wurden Schwangerschaften in der Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen beendet. 58 Prozent dieser Frauen waren ledig.

Unterstützung für Frauen weltweit

In den USA sind vor allem Frauen mit niedrigem Einkommen, Jugendliche, People of Colour, MigrantInnen und geflüchtete Frauen am stärksten von Abtreibungsbeschränkungen betroffen. Sie können bspw. nicht einfach in andere Länder reisen, wo Abtreibungen erlaubt sind, oder sich eine Auszeit nehmen. Das ist besonders kritisch in einem Land, in dem Vergewaltigungen ebenso häufig sind wie im vom Bürgerkrieg zerrissenen Kongo. Sexuelle Gewalt ist Teil des dortigen Alltagslebens – eine Feststellung der US-Gesundheitsbehörde Center of Disease Control and Prevention, Atlanta. Im Jahr 2010 wurde vom CDC die Zahl der weiblichen Vergewaltigungsopfer auf 1,3 Millionen veranschlagt.

Statt sich hierüber einmal Gedanken zu machen, steigt  der Druck von Abtreibungsgegnern – übrigens auch hierzulande. Sie wollen ihre moralischen oder religiösen Ideologien und Interessen durchsetzen. Hierzu gibt das Zitat von Ulrike Lembke, einer Professorin für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität Berlin, die beste Antwort: „Niemand hat ein Leistungsrecht am Körper eines anderen Menschen, auch der Fötus nicht“. So wäre zum Beispiel selbst bei Lebensgefahr eine per Zwang durchgesetzte Blut- oder Organspende für Angehörige in Deutschland undenkbar. Eine Austragungspflicht verstoße daher schlicht gegen die Menschenwürde.

Frauen haben lange für das Recht, über den eigenen Körper selbst zu entscheiden, hart gekämpft. Und das Entscheidungsrecht zur Abtreibung muss mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit einhergehen. Daher ist es sehr wichtig, dass wir Frauen in diesem Punkt zusammenstehen und dieses Recht gemeinsam schützen! Wir Älteren sollten uns besonders für die Frauen einsetzen, die dieses Recht noch nicht haben oder in Gefahr laufen, es wieder zu verlieren. Dies können wir beispielsweise tun durch Unterstützung über Amnesty international Deutschland.

Am besten wäre natürlich, wenn keine Frau mehr ungewollt schwanger würde. Haltet ihr es nicht auch für seltsam, dass man bzw. frau inzwischen so viel über Sexualität weiß, es aber wohl immer noch an konkretem Wissen über Verhütung fehlt? Leicht zugängliche, kostenfreie oder wenigstens -arme Verhütungsmittel gepaart mit besserer Aufklärung über richtige Verhütung finde ich daher ebenso wichtig.

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